Alte Gedanken und neues Staunen

Es gibt Bücher, die man besser nicht lesen sollte. Nicht wenn man zwanzig ist und nicht ein paar Jahre später. Spassverderberbücher, Heileweltkaputtmachergeschreibsel, erbärmliches. Erich Fromm hat solche Bücher geschrieben.
Eines dieser Bücher fand den Weg zurück aus der Erinnerung, ich hab es wieder hervorgekramt. Schuld daran war wie immer nicht ich, sondern dieses Mal ein werter Bloggerkollege, dessen Beitrag mich darauf brachte. „Haben oder Sein“ nennt sich das Bändchen.
Beim Lesen fiel mir ein, wie sehr mich Fromm einst beeindruckte und wie wenig davon vom Gehirn in’s Tun hinunter gesickert ist. Auf den einfachsten Nenner gebracht stellt es zwei entgegengesetzte Formen  von Lebensentwürfen vor, die des „Habens“ und die des „Seins“ – und übt wüste Kritik am Konsumverhalten.

Wenn man so etwas mit Zwanzig liest, dann strebt man sofort den Zustand der Enthaltsamkeit vom Besitzstreben an, als logischen Zwischenschritt vor der Kompletterleuchtung.

Das konnte ja nur schiefgehen.

Erich Fromm ist 1985 gestorben. Und leider kann man nicht behaupten, er habe sich getäuscht. Der Marketingcharakter, der wurde zur erschreckenden Normalität – der Mensch und sein Marktwert, und wie nutze ich Andere, um diesen Wert zu steigern.

Eines geht aber gar nicht: Unmittelbar nach solch einer Lektüre ein Einkaufszentrum besuchen, die Belege für Erich Fromms Thesen prasseln hämmernd gnadenlos darnieder. Da sollte man schon eher in den Forst gehen oder in die Berge.

Vielleicht besser doch nicht in die Berge, nicht nach der Betrachtung der Bilder von Lois Hechenblaikner. Aber Vorsicht, das ist ganz harte Kost. Freizeit und das, was der Mensch daraus macht. Man möchte sie schreiend entsetzt fragen: „Ist das wirklich alles, was ihr könnt? Ist das schon alles?“.

Grundgütiger, was wäre passiert, wären die Vorstellungen von Erich Fromm Wirklichkeit geworden. Naiv schlug der Mann vor, jedem eine ausreichende Grundsicherung zu gewähren, damit der Mensch nicht arbeiten MUSS, sondern die Möglichkeit hat, seine Kreativität auszuleben – bezahltes Sabbatical. Vermutlich würde Hechenblaikner die Kamera aus der Hand fallen, wenn er eine solche Wirklichkeit vor die Linse bekommen würde. Man kann alles noch steigern! Alte Dias, die zeigen möchten, wie es vor fast 50 Jahren in den Alpen noch ausgesehen hat: (Klick!)

16 Gedanken zu “Alte Gedanken und neues Staunen

  1. Au Mann, zuerst hab ich gedacht, ja so siehts mitunter heute noch aus. Dann hab ich auf Hechenblaikner geklickt. Aua.
    Ansonsten. Vom Haben bin ich schon auch angetan.
    😉

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  2. Ich hab mich heute versucht daran zu erinnern, wie das damals war. Jahr für Jahr fuhren wir mit den Eltern in die Berge. Gut, es gab Lifte, die jeden den Berg hinaufbrachten, aber das war’s dann schon. Oben Bergstation mit einer rustikalen Almhütte, wo man vespern konnte und einen Almdudler trank. Wir waren immer in sehr einfachen Privatpensionen, sehr spartanisch, aber immer familiär und menschlich warm. Man hat mit den Leuten dort oft gefrühstückt und mit deren Kindern gespielt. Als Event gab’s einen Heimatabend und ein Freibad mit Minigolf. Ein Tante Emma Laden, oft gleich noch Tabak-Traffic, das war es dann schon. Der Rest war eben Landschaft. Und es waren schöne Urlaube!

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    • Eine Leserin schreibt:

      Wollte eine junge Frau einen Protestanten heiraten, wurde sie halb tot geprügelt, vom eigenen Vater.
      Eine uneheliche Schwangeschaft zog Zwangsverheiratung oder Verstoßung nach sich.
      Die einzigen Zukunftperspektiven für Frauen waren gebären oder Kloster. Arbeiten und gebären bis zum Zusammenklappen. Eheliche Pflicht. Verhütung – Sünde. Abtreibung – Todsünde. Inzest – Tagesordnung. Behindert sein – Hölle. Jeder Anflug von Selbstbestimmung zerbarst an Eltern, Ehemann, Katholischer Kirche und schlicht bitterster Armut.
      Ich erinnere mich mit Grauen an die harten, abgearbeiteten, vom Katholizismus verdummten Frauen meiner Kindheitsurlaube in Österreich. Damals schon wusste ich, dass ich mit keiner von ihnen tauschen wollte. Freiheit hat ihren Preis.

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      • Aber nicht bloss bei den Katholen – überall gibt die Religion den Deckmantel für die Erniedrigung von Menschen.
        Und schon rennen grosse mengen deutscher Menschen (mit Wahlrecht und Führerschein) dem ewiglächelnden Religionsdiktator (mit Wohnsitz in einer mondänen Villa über dem Genfer See) nach und zahlen dafür, seine Sprüche zu hören.
        Selig sind diese Einfältigen, denn ihnen wird der Klodeckel auf den Hinterkopf fallen…

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      • Nein, Theologe im studierten Sinn nicht und Mitglied in einer Firma der Branche Glaube&Hoffnung auch nicht.
        Wer sich jedoch mit Geschichte im allgemeinen oder den dazuzählenden den Teilbereichen Kultur oder Kunst beschäftigt, der kommt nicht umhin, sich mit dem (Un)Wesen der Religionen zu beschäftigen und sich so einiges Wissen zu erwerben.
        Schöne Grüsse aus dem Bembelland

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      • Wer ist denn das ? Der Ewiglächelnde am Genfer See? Muss ich den kennen?
        Die Seligpreisung ist in der Tat biblisch nicht ganz wasserdicht. Von einem Abtritt, ich nenn das mal so, da ist in der ganzen Bibel keine Rede.
        Aber, um noch meine heutigen Gedanken dazu einzubringen, ich habe gegoogelt unter „Schwaben“ und „Depressivität“ und „Altpietismus“. Da scheint es eine Zusammenhang zu geben.
        Eine Untersuchung, die an der Tübinger Nervenklinik (so hiess die ganz lange noch) durchgeführt wurde, die ergab in der Tat höhere Werte für die Schwaben im Vergleich zu Restdeutschland. Denen hat man das Lachen partiell ausgetrieben.
        Hat jemand den Altpietismus wirklich begriffen? Ich nicht. Es begann wohl recht hoffnungsvoll als Gegenbewegung zur Oberflächlichkeit der Amtskirche, als Hinwendung zur Innerlichkeit und endete in einem eklatanten Lustverlust.

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      • Eine Leserin schreibt:

        Ich war einmal mit einem Freikirchler befreundet. Von ihm habe ich den Spruch „Lust ist ein schlechter Berater“. Er war 18, ich 16. Krank.

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      • Aber Sie haben, mit Verlaub, überlebt und sind Ihren Weg offensichtlich gegangen.
        Soweit schliesse ich das aus Ihren mir bekannt gewordenen Kommentaren.
        Wissen Sie was aus jenem Freikirchler geworden ist?
        Nachmitternächtliche Grüsse aus dem stillen Bembelland

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      • Eine Leserin schreibt:

        Er hat meines Wissens nie geheiratet und ist tatsächlich später psychisch schwer erkrankt.
        ABER: Ich lege Wert auf die Feststellung, dass dies keineswegs auf alle Freikirchler zutrifft. Ohnehin beobachte ich, dass ein in Freiheit gelebter Glaube an Jesus Christus eine große Lebenshilfe sein kann. „Ihr werdet die Wahrheit erkennen und die Wahrheit wird euch frei machen.“ Freiheit und Liebe sind die Früchte, an denen man Christen erkennen soll.
        (Heute erlaube ich mir diesen Exkurs mal, Christi Himmelfahrt ist mein Lieblingsfeiertag!)
        Und ja, ich habe überlebt, knapp, und ich bin meinen Weg, auch im Liegen, gegangen.
        Der ganzen Welt einen inspirierten Tag!!

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      • Ihre Feststellung teile ich. Und was das Neue Testament betrifft, so ist das meines Erachtens eine Soziallehre, nach der man leben kann.
        Die elende Vermischung von AT und NT durch die Glaubensvermittlungskonzerne hilft autonom denkenden Menschen, die sich in verantwortungsvollen Handeln üben wenig.
        Sonnenschöne Grüsse aus dem blauhimmlischen Bembelland

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      • Mit dem Zusammenhang zwischen Freikirche und psychischer Erkrankung und religiösen Wahnvorstellungen habe ich mich viel beschäftigen müssen. Allerdings möchte ich mich nicht über Mutmassungen äußern, wie dieser Zusammenhang ausschaut.
        Genau so oft erlebt man, dass ein fester Glaube einem psychisch kranken Menschen hilft, seine Situation zu ertragen.
        Was die Bibellektüre betrifft, da kommt es auf dessen Geist an, der sie liest. Ein armes Buch. Wie viele hirnlose Fanatiker haben schon Rechtfertigung daraus bezogen und wie viele geistig um etliches mehr entwickelte Leser konnten Sinn und Trost darin finden.

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  3. Fromm und Hechenblaikner – die beiden passen zusammen; sie ergänzen sich hervorragend.
    Die Worte über Fromm unterschreibe ich ebenso wie die mir erinnerlichen Winterurlaube im Allgäu.

    Hindelang. Eine Bäckerei vermietete Zimmer. Alles sehr persönlich, schon beim Aufwachen der betörende Duft frischen Backwerks.
    Als ich grösser war und besser Schilaufen konnte die Auffahrten zum Oberjoch. Abfahrten vom Iseler.

    Im Gegensatz zu heute war das alles von einer unerklärlichen Unschuld umflort.
    Wenn ich dagegen den heutigen Schizirkus sehe, die Ausrüstungen, die Attraktionen die Auswüchse…

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