Offener Brief der Selbsthilfegruppe japanischer Schnurbäume

Wir dürfen uns vorstellen:
Wir sind eine Gemeinschaft von Styphnolobia japonica – Bäume mit asiatischem Migrationshintergrund. Wir gehören zu den Schmetterlingsblütlern. In unserer Heimat waren wir gezwungen, ziemlich giftig zu werden. Unsere Rinde, unsere Samen und Fruchtschale – um überleben zu können. Tut uns leid, so ist das halt bei uns Bäumen. Finger weg und passt auf die Kinder auf!
Vor ein paar Jahren wurden wir alle verpflanzt. Uns Bäumen macht das keinen Spass, aber da wir immer viel zu kleines Schuhwerk tragen müssen, erhofften wir alle uns ein besseres Los: mehr los unten an den Wurzeln.
Was waren wir erleichtert, als sich herumsprach, dass wir ab jetzt in einem Bürgerpark wohnen dürften.
Ein Park!!
Was kann einem als Baum Schöneres und seelisch Tieferes in das Geäst fallen?
Die Vorfreude verführte einige von uns dazu, spontan Willkommensblättchen zu treiben.
„Schont euren Saft“, warnten Andere.
Sie hatten recht.
Dass wir Bäume oft in Reih und Glied angebaut werden, dass haben wir seit Generationen verdaut, so ist der Mensch, das hat er gern.
Und wir voller Erwartungen, diesem engen Topfwerk entrinnen zu können und mit unseren Wurzel so richtig Stoff zu geben.
Langsam wie wir Bäume halt so sind – aber sicher – kam die Erkenntnis, dass wir wahren Genies in die Hände gefallen sein mussten, oh grundgütiger Erstaustrieb. Die haben uns Schuhwerk verpasst, gerade mal ein Muggaseggele größer, als wie wir es gewohnt waren, kein Erdreich, kein Wurm, kein Pilz, nix, niente – tipota. Sie bemerken, dass wir trotz aller Isolation den schwäbischen Dialekt erlernt haben, denn wir befinden uns im Herzen der Alb.
Dumm sind wir nicht, wir Bäume.
Was würden sie tun, wenn die Füße bei jeder Bewegung schmerzten, wenn sie ständig Durst hätten und so wenig zu Essen bekämen, dass Sie gerne zu der Nudelbox da am Horizont hinüber wachsen würden, wenn Sie das könnten?
Ganz recht, der Mensch ist mindesten so sozial wie der Baum und wächst zu einem Verein zusammen.
So enstand die Selbsthilfegruppe und beschloss als Erstes, nicht mehr zu wachsen. Zu mickern. Und uns mal so um zu schauen in der Nachbarschaft.
Wir Bäume können bei viel Feinstaub wenig sehen. Das einzige was wir erkannten war ein seltsames eckiges und unnatürlich wirkendes Gebilde, das die  Menschen Stadthalle nennen.
Ein junger Mitbaum, der siebte in der zweiten Reihe links, der immer schon eine gescheites Geäst hatte, dem fiel auf, dass es im Bürgerpark kaum Bürger gibt. Denen geht es wie uns Bäumen, sie können keine Erde fühlen, sehen kein Grün, nur Stein, Glas und Metall und der junge Mitbaum vermutet, dass sie auch alle viel zu enge Schuhe tragen müssen.
Nun hoffen wir Bäume ganz arg stark, denn unsere Pflanzer haben eine Lösung für alle unsere Probleme gefunden, sie haben alles auf eine Karte gesetzt und keine Kosten gescheut:

Sie haben ein Gutachten erstellen lassen!

Einige von uns zweifeln daran, dass nun alles gut wird, aber die Hoffnung stirbt zuletzt – und wir Bäume sind bekanntlich hart im Nehmen.

Einen letzten Gruss senden wir zum Abschluss – lange Rede letzter Sinn – an die Baumgruppe Vorstadtbahnhof, die lange Zeit dort Bänkchen auf dem Vorplatz begrünen und beschatten durfte und aus uns unbekannten Gründen niedergestreckt wurde.

Seien Sie bedankt für Ihre Aufmerksamkeit.


 

 

 

27 Gedanken zu “Offener Brief der Selbsthilfegruppe japanischer Schnurbäume

  1. Eine Leserin schreibt:

    Ich beschäftige mich zur Zeit mit Geomantie, Auch praktisch. Dabei habe ich mit eigenem Leib Dinge erlebt, die hätte ich noch vor ein paar Monaten für schlichtweg unmöglich gehalten. Dazu gehört auch die Kommunikation zwischen Mensch und Baum. Wir Menschen haben die Fähigkeit, uns auf Ebenen einzuschwingen, von denen die meisten nicht einmal ahnen, dass es sie gibt.
    Mir ist beim Lesen das Herz aufgegangen.

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    • Geomantie – da musste ich mich erst mal schlau machen.
      Die Gedanken, die mich zum Schreiben des Beitrags bewegten, verlaufen in ähnlichen Bahnen. Mich beschäftigte nämlich die Frage, warum Menschen diesen Ort derartig meiden. Dass dies so ist, verrät ein Blick auf die Bilder der Webcam.
      Einen Steinwurf weiter gibt es einen ehemaligen Industriebau, in dem moderne Kunst präsentiert wird. Interessant. Schaut man dort, egal in welcher Richtung, zum Fenster hinaus, wird man mit einem derartigen Ausbund baulicher Schrecknis konfrontiert, die fast schon sehenswert ist. ich wollte das schon immer mal knipsen, aber ich befürchte, dass es mir entweder die Kamera zerreisst oder dass ich in die Psychiatrie eingewiesen werde, wenn ich die Bilder poste.

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      • Eine Leserin schreibt:

        Lieber Crownbender,
        langsam werde ich neugierig. Wenn ich wieder einmal das Gefühl habe, der trägen Brühe, die Euphemiker „Lebensfluss“ nennen, etwas Abseitiges entgegensetzen zu müssen, könnte das der Tag werden, an dem ich spontan nach dortselbst aufbreche.
        Wahrscheinlich -Ironie des Schicksals- erlebe ich dann etwas sensationell Tolles, geradezu Kosmopolitisches. Ich werde berichten.

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      • Sollten Sie solch einen fast schon heroischen zu nennenden Plan in die Tat umsetzen wollen, dann darf natürlich der „Godfather of Dead Places“ im Besichtigungsprogramm nicht fehlen, eine Zweigstelle des Landratsamtes, worin vielerlei Behörden untergebracht sind. Neulich war mir dort Wartezeit vergönnt und ich begann, den Raum zu vermessen, mit dem Ergebnis, dass auf etwa 30 Quadratmeter Wandfläche ein im Format Din A 4 sich befindliches buntes Element in Forme eines Bildes von einem subversivem Element angebracht wurde.

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      • Eine Leserin schreibt:

        Manchmal kann man sich nur noch mit dem anschließenden Besuch des Mehrgenerationenspielplatzes retten.

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      • Eine Leserin schreibt:

        Hab mir zur Einstimmung mal die Stadthalle per webcam angesehen. Und ich muss sagen: Donnerwetter!.Sie haben nicht zu viel versprochen! Da kann man nur hoffen, dass ihrer die Religionswächter in Mekka nicht ansichtig werden, die würden wahrscheinlich „Blasphemie!“ aufschreien.

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    • Zum Glück hält sich auf der Alb das von dir damals so wortgewaltig angesprochene Problem in Grenzen. Auf dem Land, wohlgemerkt. Da passen die Leut auf, aber hallo.
      In der Stadt läuft das anders, da ist ein Baum ein Kostenfaktor, das wird ganz offen angesprochen, der muss gepflegt werden. Lieber weghauen. Oder im Herbst ein Ärgernis, wenn das Laub abgeworfen wird und den Gehweg verunziert. Dann spricht das Gebläse.
      Und das hier angesprochen Thema scheint mir symptomatisch: Die kontrollierte Duldung von Natur in dem Rahmen des Bürgerparks in kleinen Quadraten, denen ein quadratisches Denken vorausgeht und das Sprießen der Natur in jeder Ritze des Gehwegs als Affront gegen die eigene Person rezipiert wird.

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  2. Graugans schreibt:

    Bin leider wieder mal erst hier angekommen, als Ihr schon alles bestens diskutiert hattet. Trotzalledem danke ich Dir für diesen exzellenten Beitrag…wenn ich mir diese Stadthalle so anschaue mit den eingemauerten Bäumen davor…ja, das ist wohl auch das Land, in dem wir leben, kaum vorstellbar. In der oberbayrischen Provinz, in der ich lebe, sind Wälder längst auch schon verkommen zu Monokultur, um schnellstmöglich für verkaufbares Brennmaterial zu sorgen und hundertjährige Buchen werden umgeworfen, um letztendlich als Grillkohle zu enden. Trotzdem frohe Pfingsten! Liebe Grüsse

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    • Alle paar Jahre hat die Natur allerdings genug von all diesen Possen.
      Hier war es der „Lothar“, der hat den Schönbuch gründlich abgeräumt, eine Nadelbaummonokultur.
      In einer halben Stunde war alles vorbei. Mutter Natur zuckte mal mit der Schulter.
      Jetzt sieht es da anders aus. Irgendwie wie ein Wald kommt einem das jetzt vor.
      Wünschen tue ich mir das nicht, aber nach dem nächsten Orkan oder einem Hagelsturm wie vor zwei Jahren wird die Webcam ganz andere Bilder zeigen. Und vielleicht begreifen die Leute dann, wie so ein Baum eigentlich funktioniert. Und wenn’s die ganze Halle gleich auch noch wegblasen würde, da würde sich der Schmerz drüber sicher in Grenzen halten.

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      • Die Akustik soll hervorragend sein. Man kann Willy Astor, das Kindertheater mit „Urmel aus dem Eis“ und dem „Räuber Hotzenplotz“ in angemessener Qualität geniessen. Oder die „Klingende Bergweihnacht“.

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      • Eine Leserin schreibt:

        Also ein Einwohner wie Touristen gleichermaßen ansprechendes Angebot!
        Prima Ergänzung zum Mehrgenerationenspielplatz.

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  3. Sie bringen mich auf Ideen.
    „Urmel aus dem Eis“ ist erstklassiger Stoff. Das depressive Walross 🙂
    Da hat man nach HH geschaut. König der Löwen, eigene Halle, oder Bochum („Starlight Express“).

    Urmeli ist bodenständiger, bescheidener, dem schwäbischen Humor angepasster. Nicht eine „Halle für Alle“, sondern eine „Urmelhalle“. 25x im Jahr aufführen. Alternierend mit der Blechbüchsenarmee. Augsburger Puppenkiste rules.

    Kommando „Roll Roll Roll“ 🙂

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  4. Licht spricht immer an, meine Aktivitäten sinken in der dunklen Jahreszeit regelmäßig ab. Da bleibt einem der Humor. Auf der Seite wird auch über die segensreiche Wirkung der Kunst berichtet. Das kann ich unterschreiben. Hilft auch in den dunklen Tagen. Luzide Träume kenne ich gut.

    A propos Kunst:

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