Wie die Zeiten sich ändern …..

Fast auf den Tag genau vor 16 Jahren, am 20. Mai 2000, es war ein Samstag, da lag hier anstrengende Gartenarbeit an.
Letzter Spieltag der Bundesliga, im Radio lief „Heute im Stadion“.
Wir erinnern uns:
1999 war der SSV Ulm 1846 quer durch die zweite Liga in das Oberhaus marschiert.
Von Kindesbeinen an galt es am Montagmorgen mit dem ersten Blick in die Zeitung die Frage zu klären: „Wie hat Ulm gespielt“. Meistens in der ersten Amateurliga oder der Regionalliga in guten Zeiten. Aufstiegsrunden waren immer Drama pur.
Tausende waren allerdings 1999 in der Friedrichsau in Ulm, Saisonfinale, Altin Rakli von Unterhaching schoss das entscheidende Tor gegen die Konkurrenz. Als danach der Aufstieg in trockenen Tüchern war, ich war dabei, es wurde eine rauschende Ballnacht, aber Hallo.

Schwer zu glauben, ausgelassen können die Schwaben sein …..

Danach war ich ein Jahr lang richtiger Fussballfan, mit Schal und so.

Ich kann mich an jedes Spiel erinnern, einige im Stadion gesehen.
Unvergessen das 3:1 gegen Kaiserslautern, das 1:1 in Dortmund, als der Fanblock der Borussen zu den Ulmern übergelaufen ist, gegen Rostock mit vier roten Karten („Skandal“). Das 1:9 gegen Leverkusen.
Beim letzten Spieltag war alles offen, am Samstag im Garten, beim Steinplatten verlegen, brauner Jura.
Entscheidung in Frankfurt. Frankfurt gewann 2:1 und Ulm war drunten.
Abstieg. Dann gleich noch mal Abstieg, es ging so schnell nach unten wie hinauf.
Lizenzentzug, Verbandsliga. Statt Bayern München plötzlich Illertissen. Das möchte ich keinem wünschen.

Weg war es nie, das leicht paranoide Gefühl, dass das nicht mit rechten Dingen zugehen konnte, aber es war nur so ein Gefühl. Normal bei einem Abstieg. Da sind alle gegen!
Als kurz danach der SSV Reutlingen 05 das gleiche Drama abgeliefert hat, und von der 2. Bundesliga in die Verbandsliga durchgebrochen ist, Lizenzentzug und der Manager im Seniorenknast in Singen, da war die Leidensfähigkeit bei mir aufgebraucht.

„The day Fussball died“.

Da hätte man was lernen können. Etwa dass der Hochmut vor dem Fall kommt. Dass millionenteure Tribünen mit VIP-Lounges in der Oberliga bestenfalls als Notquartiere für Flüchtlinge nutzbar sind. Oder Luxusmannschaftsbusse so überflüssig wie ein Kropf sind.

Hat man aber nicht. Fast 16 Jahre später hab ich mir wieder „Heute im Stadion“ gegönnt. Ohne Gartenarbeit und schwere Steine, denn ich habe Rücken.
In einer alptraumhaften Dramaturgie des fussballerischen Grauens hat es heuer die Landeshauptstadt Stuttgart erwischt. Der Ulmer Abstieg war eine Bachblütentherapie dagegen. Es kann immer noch schlimmer kommen.
Die Ulmer haben sich wenigstens noch gewehrt, beim VfB war das nicht zu erkennen. Der stand auf dem Platz, so als wie wenn jeder Spieler „ein Klavier tragen müsse“ (Zitat aus dem Rundfunk).
Zweiter Abstieg nach 41 Jahren. St. Pauli, wir kommen!
Und es kommt noch dicker. Kurz davor stieg die 2. Mannschaft des VfB ebenfalls ab, aus der dritten Bundesliga und am Samstag auch noch die Stuttgarter Kickers aus Degerloch. Wenn’s ganz dumm läuft, dann auch noch die Zweite der Kickers nächste Woche, die sind pikanterweise punktgleich mit Reutlingen. Alles Zufall!
Auch in Degerloch steht ein neu renoviertes Stadion, dort kann man nun Regionalligafussball kucken.

Ein denkwürdiger Samstag. Ach, und wissen Sie was?

Der SSV Ulm spielt ab der nächsten Saison wieder in der Regionalliga. Gegen die Stuttgarter Kickers und die Zweite vom VfB. Aber die Ulmer freuen sich darüber, denn die sind am Samstag Meister geworden.

Muss ich mal gucken, wo mein Schal geblieben ist……

 

 

 

 

 

11 Gedanken zu “Wie die Zeiten sich ändern …..

  1. Beim Schreiben einer Mail an einen guten Freund fiel mir „History Repeats Itself“ von Cab Calloway ein. Das kam 1966 auf Platz 89 in den US-Charts. Fürchterlicher Song.
    Der Vergleich hinkt natürlich enorm. Bei Cab Calloway geht es um Lincoln und Kennedy, im Fussball um Stuttgart und Bremen. Das Eine sind die Präsidenten von Vereinen, das Andere die Vereine von Präsidenten. Beide Stuttgarter Vereine unterlagen im Abstiegskampf Werder Bremen. Bei den Kickers war Robin Dutt Trainer, beim VfB Sportmanager. Und beide Stuttgarter Vereine spielten einst in der Bundesliga.
    Freiburg ist übrigens wieder aufgestiegen.

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  2. Danke Mother Nature, danke! Dass du es in meinen Erbanlagen verhindertest, dass ich jemals in Gefahr kommen könnte, für „irgendwas mit Fußball“ Gefühle zu entwickeln. Wieviel Zeit, Geld, Aufregung man sich damit erspart ist sagenhaft rentabel.
    Wo andere in Stadien stehen und grenzdebile Parolen gröhlen – hab ich zu Hause gelesen, Musik gehört, Musik bestellt, den Hund ausgeführt. Letzteres kommt besonders gut, wenn irgendwelche Halbfinals/Endspiele von irgendwelchen WMs, EMs, Chamignon-Leaks usw. sind: Da stehste mitten in der Kleinstadt: The road is yours!

    Für eines muss man dem Fußball allerdings dankbar sein: Er schuf das Wort „Strunzdämlich“!

    Ich meine: Der arme Strunz! Aber Jankerdämlich, Ziegedämlich, Scholldämlich, Kahndämlich – klingt halt alles nicht. (Anhand der Namen kannste mal sehn,wie lange das her ist, dass ich verleitet/verführt wurde, mir diese überbezahlten Schwervermittelbaren im Fernsehen anzusehen.)

    Diese Art der Lebenszeitverschwendung kommt wirklich gleich nach Wehrpflicht.

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    • Ich werde nie vergessen, wie wir als Kinder zu spät aus dem Freibad heimgelaufen sind. Im TV lief ein WM Kick mit Schland dabei und die Strassen waren leer. Sowas von leer. Und wir wussten genau, wie die ersten 15 Minuten gelaufen waren. Weil wir das gehört haben.
      Ich mach das auch gerne, antizyklisch einkaufen, wenn da alle am sporteln sind. Ach ja, was kann man sich elegisch emporschwingen über Leute, die den Rückspiegel mit den Nationalfarben verbrämen. Und ich weiss auch, dass die Schmerzen über den Abstieg und die Freuden über den Klassenerhalt die Halbwertszeit einer Stadionwurst beim Verdauen nicht wesentlich überschreiten. Der Montag ist immer von Übel.
      Aber hat man das unverschämte Glück und erwischt einen richtig guten Kick oder einen drehbuchreifen Spieltag, dann nehme ich das mit.
      Es gab Spiele, die waren wie wirklich gute Songs.
      Und gute Songs gibt es nicht so viele 🙂

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